Monatsbericht Mai 2015

Wenn ich früher an Mai gedacht habe, kamen mir Frühlingsbilder in den Sinn; Löwenzahnwiesen, die ersten warmen Tage… . Das hat sich hier geändert. Mai ist in Mexiko der heißeste Monat des Jahres. Mittags hat es regelmäßig 35 Grad Celsius. Guadalajara ist zum Glück eine, auf das Klima bezogen, gemäßigte Region.Es gibt hier wenigstens keine hohe Luftfeuchtigkeit, die das ganze noch unerträglicher machen würde. Da ich die Nachmittage regelmäßig innerhalb der Betonwände verbrachte, hat mich nach der Arbeit die Hitze regelrecht überrumpelt.

Diesen Monat wurde in der Albergue eine neue Aktion eingeführt, die Montagsrunde. Als ich noch mehr mit den Kindern gearbeitet habe, war Montag immer der anstrengendste Tag für mich. Die Kinder verbringen das Wochenende zu hause mit ihren Eltern und werden von ihnen am Montagmorgen wieder in die Albergue gebracht. Die Idee der „Schule für Familienangehörige“, welche jene verpflichtet sind zu besuchen, ist unter anderem auch, dass die Eltern den Alltag und den Rhythmus den die Kinder in der Albergue leben, zu hause fortführen. Das klappt nicht immer und so brauchen viele Kinder montags immer etwas Zeit um sich wieder in das System Albergue einzuleben. Manchmal haben die Kinder auch am Wochenende schwierige Situationen erlebt oder keine ADS-Medikamente genommen. Montag ist also mehr oder weniger ein Übergangs- oder Anpassungstag. Nun treffen sich alle Kinder, Lehrer und Mitarbeiter aus dem Büro montags um zehn Uhr und jeder kann einige Worte zu seinen Erlebnissen am Wochenende und zu seiner emotionalen Farbe sagen.

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Mir gefallen diese Runden sehr. Es ist schön, die Woche gemeinsam zu beginnen und etwas mehr von den Kindern zu erfahren. Außerdem hilft es die Montagslaune der Kinder einzuschätzen. Dafür gibt es hier in der Albergue ein spezielles Konzept: die emotionale Farbe oder der Emotionstachometer. Die Stärke der emotionalen Kontrolle wird dabei auf einem Tachometer von eins bis zehn gemessen, oder von der Farbe Grün bis Rot. Eins\Gruen bedeutet: mir geht es gut, ich habe mich emotional unter Kontrolle, 10\Rot bedeutet dagegen: ich habe mich emotional nicht unter Kontrolle. Wenn jemand sich emotional einmal nicht unter Kontrolle hat, so die Idee, so ist es auch Aufgabe der Menschen in seinem Umfeld, sich ihm gegenüber entsprechend zu verhalten. Ist eine\r wütend, kann er\sie sich zum Beispiel nicht auf eine Rechenaufgabe konzentrieren,einem/einer anderen hilft die Rechenaufgabe vielleicht, sich wieder emotional unter Kontrolle zu bringen. In der Albergue hat also jedes Kind, jede\r Arbeiter\in und jede\r Mama\Papa einen sog. „Plan de Seguridad“, einen Plan der Sicherheit. Er hat zwei Seiten, Grün und Rot. Sollte man einmal wütend, traurig oder anderweitig emotional aus der Balance geraten sein, so dreht man ihn einfach auf die rote Seite, sodass die Mitmenschen sich darauf einstellen können. Dort finden sich dann zudem Anweisungen für einen selbst und für die Mitmenschen, die einem helfen sollen, sich emotional wieder unter Kontrolle zu bringen.

Im Büro habe ich diesen Monat das mexikanische Jugendamt kennengelernt, den DIF (Desarollo Integral de la Familia). Eigentlich endet der Aufnahmeprozess für die neuen Kinder im April. Es kommen in letzter Zeit jedoch mehr Eltern als zuvor, mit einem Aufnahmeersuch für ihre Kinder. Zudem fehlen immer noch Kinder um die Albergue zu „füllen“. Da das Büro des DIFs, welches in jedem Viertel der Stadt vertreten ist, i.d.R. die erste Anlaufstelle der Eltern ist, haben wir die DIFs einiger Viertel angefahren, um ihnen Informationen über die Albergue zu geben, sodass sie interessierte Familien direkt weiterleiten können. Es war interessant, hat sich jedoch rein optisch nicht viel von einem deutschen Amt unterschieden, außer vielleicht, dass die SozialarbeiterInnen hier auf deutlich engerem Raum arbeiten. Toll bei unseren Arbeitsausflügen ist für mich immer, dass ich weitere Teile der Stadt kennen lerne.

Ich dachte schon, ich werde dieses Jahr keinen Erste-Mai-Streich bekommen, hatte aber Pech und nicht mit der Mafia gerechnet. Wir hatten die Stadt früh morgens mit dem Auto verlassen und waren schon auf der Autobahn, als im Internet plötzlich Bilder von brennenden Bussen und Autos auftauchten. Laufend kamen Meldungen von neuen Straßenblockaden. Die Unruhen wurden den „Narcos“ zugeschrieben, den Mitgliedern des organisierten Verbrechens/Drogenbossen. Kurz nachdem wir die Autobahn verlassen hatten, stoppten die Narcos auch Lastwagen auf der Autobahn und setzten diese in Brand. Feuer legten sie außerdem noch in fünf Banken und sechs Tankstellen. Am Morgen des ersten Mai soll ein Polizeihubschrauber einen verdächtigen Konvoi angeflogen haben. Der Polizeihubschrauber wurde vom Konvoi abgeschossen und eine halbe Stunde später begannen die Unruhen aus Protest gegenüber der Polizei. Wir haben den Tag außerhalb der Stadt verbracht und bekamen von diesem Chaos nichts zu spüren.Hier für Interessierte noch detailliertere Informationen zu dem Vorfall: http://www.discovergdl.com/2015/05/08/the-may-1-2015-violence-in-guadalajara-jalisco-mexico-what-it-was-wasnt/ (Zugriff: 12.10.2015)

Mitte Mai habe ich ein Wochenende in der Sierra Gorda im Bundesstaat Queretaro verbracht. Das Gebirge ist ein wunderschöner Ort. Von der Stadt Queretaro fährt man 2-3 Stunden mit dem Bus in die Berge. Die ersten zweieinhalb Stunden der Fahrt verlaufen durch trockene Buschlandschaften, dann verändert sich innerhalb von fünf Fahrminuten die Vegetation in einen dichten, grünen, flechten bewachsenen Laubwald. Die Berghänge sind recht steil und dennoch wird überall mühsamst Landwirtschaft betrieben, auch wenn sie in den meisten Fällen nicht über die Subsistenz hinaus geht. In den höheren Lagen der Berge sorgen die Wolken für ein eher feuchteres Klima und der Boden scheint recht fruchtbar zu sein. Ob daher der Name Sierra Gorda, fettes Gebirge, kommt konnte mit leider niemand sagen.

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Anfang Juni werden hier in Mexiko Kommunalwahlen sein. Sie finden überall zur selben Zeit statt. In den Städten gibt es neben den Plakaten beinahe täglich Festumzüge verschiedener Parteien. Mit Trommeln, Trompeten, Pfeifen, auf die Partei umgedichteten Popsongs und Fahnen bewerben dabei hauptsächliche Jugendliche ihre Partei. Es hat mich erstaunt, nach allem was ich über mexikanische Politik im Ausland und auch in Mexiko gehört habe, die Politik mit einem so starken Rückhalt in der Jugend zu sehen.

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Auf unseren Streifzügen durch die Berge ist uns aufgefallen, dass nahezu an jedem Haus ein Wahlplakat hing. Gespräche mit den Anwohnern zeigten uns allerdings, dass das Interesse an der Politik meist gar nicht so groß war, sondern, dass vielmehr „Unterstützungsgaben“ den einen Bürger oder die andere Bürgerin dazu bewegten, ein Wahlplakat aufzuhängen oder eine Stimme zu geben. Das sind nicht unbedingt Geldgaben in Klassischem Sinne. Auch Küchengeräte oder das Bezahlen der Gasrechnung können solche „Unterstützungen“ sein. Das führt dazu das die Wahlkampfausgaben einiger Parteien weit über den begrenzten Summen liegen. Wer zu diesem Thema noch weiter lesen möchte, findet hier noch einen spannenden Artikel:

https://www.boell.de/de/2015/06/18/mexiko-umstrittene-wahlen-zur-halbzeit (Zugriff: 09.10.15)

Zudem findet ihr hier weitere Bilder Mai 2015

Liebe Grüße,

Sophia